Der Ruf nach einer neuen Reformation
Luther, Calvin und Max Weber weisen uns den Weg

In diesen Tagen und Wochen wird eine Gestalt sehr populär. Nein, nicht die eine jenseits des Atlantiks. Eine Person, die vor 500 Jahren lebte. Im säkularen Europa wird dem Reformator Martin Luther gedacht, oder besser gesagt, seinem legendären Anschlag der 95 Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg 1517.
Damit erhielten damals alle anderen Reformbestrebungen in Europa Auftrieb und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund eröffnete das Reformationsjahr deshalb in Genf – Johannes Calvin zum Gedenken.
Unsere Welt ist in Aufruhr und doch in starren Strukturen unbeweglich. Eine vielleicht ähnlich gefühlte Situation wie vor Fünfhundert Jahren. Der kleine Mann sah sich einem enormen Machtsystem gegenüber – ohnmächtig und um das Überleben kämpfend. Damals war es die Kirche, die den Anspruch erhob, dass sie allein für das Heil und die Versorgung der Menschen zuständig ist. Der Glaube war verbreitet, dass nur im Schoss der Mutter Kirche und damit in der grossen allumfassenden Glaubens-Gemeinschaft überlebt werden kann. Das Dorf, und mitten drin die Kirche, prägte Mitteleuropa. In seiner landwirtschaftlichen Struktur mit hoher Analphabeten- und Sterberate war man aufeinander angewiesen. Eben noch tobte die Pest und nur langsam erholte sich das Volk. Ungerechtigkeit im Steuerbereich herrschte landauf landab.
Und heute? Natürlich haben wir das Mittelalter mit all seiner Ignoranz und klerikalem Machtanspruch hinter uns gelassen. Und trotzdem zeigen sich ein paar Parallelen. So ist der Ruf nach einer neuen Reformation verständlich. Nicht nur eine Reformation der Kirche, sondern der Gesellschaft! Da die Kirche an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde, kann ihre Reformation zunächst nicht flächendeckend sein. Die erste Reformation hat zu einer Stärkung des Individuums beigetragen. Die Folge davon war ein erhöhtes Bewusstsein der eigenen Arbeitsleistung. Jeder einzelne Gläubige war aufgefordert, Gott in seiner Arbeit Ehre zu bringen. Meistens wird Calvin für die protestantische Arbeitsethik verantwortlich gemacht. Seine Theologie prägte ganze Länder in Europa und Nordamerika.
Vor Hundert Jahren beschäftigte sich der Soziologe Max Weber mit dem Phänomen der Protestantischen Arbeitsethik – vor allem in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Religionen. Heute sehnen sich alle nach dem Wohlstand, den diese Arbeitsethik hervorbrachte. Das Problem ist allerdings, dass gar nicht mehr so klar ist, was Arbeitsethik ist. Und ohne jemanden einen Vorwurf zu machen: Manchmal wissen wir auch nicht, wie wir Arbeitsethik lernen könnten.
Deshalb ist mein Vorschlag, dass wir uns mit dem Reformationsjubiläum auch Gedanken machen, wie eine neue Reformation aussehen könnte. Früher haben Kinder in der Familie zu arbeiten gelernt. Wenn heute Familien zerbrechen, ist das nicht mehr in gleichem Masse möglich. Arbeitgeber und Chefs sind gefragt, die Lücke zu füllen. Lehrlingsbetreuer und Sozialpädagogen könnten zeigen, wie man Arbeitsethik lernt. Eine Studie dazu wird noch vor Weihnachten unter den Ressourcen erhältlich sein!
Bis bald
Elke Pfitzer