Arbeit 4.0

Auf der Suche nach der idealen Organisation

Arbeit. dedljiv/CC BY 2.0

Vor ein paar Monaten widmete sich die Zeitschrift „brand eins“ (Ausgabe 3/2017, S. 92: „Wir halten uns gegenseitig in Schach“) dem Thema „Neue Arbeit“ und verkündigte gleich auf der Titelseite: „… ist mehr als alte Arbeit mit Internetanschluss.“ Seit meiner Promotion über die Arbeitsmotivation im Reich der Mitte ist die Reflexion über Arbeit zu einem Hobby geworden.

Wie geht Arbeit im 21. Jahrhundert?

In den letzten 200 Jahren sahen wir in Europa unzählige Umwälzungen im Bereich Arbeit: von der Feldarbeit in die Fabrik, von der Fabrik in Büros, von den Büros mit dem Pad hinaus zum Kunden aufs Feld. Der Kreis scheint sich fast zu schließen. Nur ist das Feld jetzt nicht mehr nur das Ackerfeld, sondern die Onlineplattform auf der verkauft wird. Wer diese Faszination der Veränderung teilt, darf gespannt sein auf die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Neben vielen Beispielen von Unternehmen, die neue Wege gehen, stach der Bericht über eine Firma heraus. Nicht weil sie ein fremdartiges Produkt auf dem Markt anbieten, sondern vielmehr wie sie sich organisiert. Diese Firma erteilt aller Effizienz, Macht und Hierarchie eine Absage und geht neue Wege. Das Ziel ist eine große dynamische Organisation zu schaffen, die Sinn stiftet statt zu gängeln.

Jeder Chef soll die Mitarbeiter haben, die zu ihm passen. Die Leute sollen sich entwickeln und sich wohlfühlen. So wird mit hohem Engagement ein Projekt mit dem Kunden durchgeführt.

Jonathan Möller hat 2011 die Multichannel-Agentur Foryouandyourcustomers gegründet. Sie befasst sich unter anderem mit Onlineshops, Websites, CRM- und Produktinformationssystemen. Eigensinnig und unternehmungslustig kennt der Gründer die digitale Szene seit seiner Schulzeit. Jetzt hat er ein soziales Experiment in dieser Branche gestartet. Es ist der Versuch, die ideale Organisationsform für ein wachsendes, international tätiges Unternehmen zu finden. Dabei gilt es unbedingt Bürokratie, Fremdbestimmung und Machtspielchen zu vermeiden. Er will ein kundenfreundliches Unternehmen, das schnell reagieren kann, wenn sich Chancen bieten, und dafür sind intern Nähe und Autonomie nötig.

Kern seiner Idee bildet die Wabenstruktur. Wenn eine neue Idee vorhanden ist oder spätestens ab 25 Personen in einer Zelle, entsteht eine neue Zelle. Es gibt kein Hauptquartier als Firmenzentrale, lediglich ein paar Spielregeln. In dieser Ansammlung gleichberechtigter Zellen handeln alle Zellenleiter eigenverantwortlich. Die Zellen erledigen alles: sie entwickeln, beraten, verkaufen, kontrollieren, rechnen ab. Ihr Leiter bekommt ungewöhnlich viel Verantwortung über Angebot, Kunden, Preise, Personal. Es gibt nur wenige zentrale Vorgaben wie z.B. weder für die Waffen- noch für die Sexindustrie zu arbeiten. Diese Zellen entscheiden dann auch, ob sie Lust auf einen Kunden haben. Wenn der Kunde mühsam ist und gewisse Charakterschwächen zeigt, dann lehnen sie dankend ab.

Das Bauen mit guten Werten und der Gestaltungsspielraum stehen an oberster Stelle. So sind auch unterschiedliche Führungsstile innerhalb der großen Firma möglich. Der persönliche Umgang verleiht dem Einzelnen große Wirkungskraft. Die Mitarbeitenden fühlen sich ernst genommen. Mit jüngeren Kollegen braucht es eine engere Zusammenarbeit, dann wird die Leine eher kürzer gehalten. Über die Arbeitszeiterfassung entscheiden alle in der jeweiligen Zelle mit.

Die Zufriedenheit und Motivation sind hoch. Die Mitarbeitenden schätzen sich glücklich: „Wir können uns der Freude widmen.“

Nichts ist in Stein gemeißelt. Mit dem Wachstum des Unternehmens braucht es Anpassungen an die Spielregeln. Nach fünf Jahren florierendem Geschäft muss vielleicht hier die Autonomie der Zellenleiter eingeschränkt oder dort zusätzliche Qualitätskontrollen eingeführt werden.

Entscheidend ist, so Jonathan Möller, was jetzt sinnvoll ist. Der freiheitliche Kurs der Firma soll bleiben. Es ist ein Experiment: Man weiß nicht, was am Ende herauskommt.

Aber bis anhin, hat die Firma Arbeitsplätze geschaffen, Umsatz und Gewinne in Millionenhöhe gebracht und nicht zuletzt: zufriedene und fröhliche Mitarbeitende, die in ihrer eigenen Kapazität noch einmal gewachsen sind – persönlich und in ihrer Kompetenz. Ein Modell, das sich sicherlich lohnt genauer zu betrachten.


Elke Pfitzer