Holacracy – Der Rahmen bleibt immer derselbe

Ein neues Organisationsmodell macht schlechte Führung nicht besser

Fotowettbewerb: Wildbienenhotel 091 b (Ausschnitt d. Originals). wissenschaftsjahr/CC BY 2.0

Erst vor ein paar Wochen erzählte mir ein guter Freund von seiner Arbeitssituation in der IT: bis vor kurzem war es normal, dass die Projekte ihre Deadlines nicht einhalten konnten. Das wurde auf die Dauer zu einem großen Problem der ganzen Firma. Er erklärte mir den ganzen Prozess, um die einzelnen Teams in die Gesamtverantwortung einzubinden und so auch den einzelnen Programmierer und Projektmitarbeiter in seiner Eigenverantwortung zu bestärken und zu ermutigen. Und weil mein Bekannter das in seiner Abteilung beispielhaft erfolgreich durchgeführt hatte, bekam er den Auftrag von der Firmenleitung, dies doch bitte auch in den anderen Abteilungen zu tun.

Wow, dachte ich, das ist wirklich ein Weg zum Erfolg. Wann immer die unterste Ebene gefördert und wertgeschätzt wird, floriert ein Unternehmen. Dass sogar bei leidenschaftlichen Programmierern der Dampf draußen sein kann, war ich mir gar nicht so bewusst. Aber eben, das sind dort Riesenprojekte!

Jetzt scheint in den großen Firmen etwas anzukommen, das sich „Holacracy“ nennt. Die einen nennen es bereits „Holy-Crazy“, weil es doch hier und da mal wieder eine Re-organisation der Strukturen ist, ohne das Problem an der Wurzel zu packen. Unter Holacracy bezeichnet man eine Organisationstheorie, bei der Befugnisse und Entscheidungsfindung auf sich selbst organisierende Teams verteilt werden – und eben nicht über eine traditionelle Management-Hierarchie.

Das hört sich super an. Im Falle bei meinem Bekannten schien es zu funktionieren.

Der Großteil der Stimmen sagt jedoch: Das ist lediglich eine Ausrede, um nicht über schlechte Führung sprechen zu müssen. Doch der für Zukunftssicherheit notwendige Paradigmenwechsel erlöst sich nicht in neuen Organisationsmodellen, sondern in einem neuen Führungsverständnis. Offensichtlich kann Holacracy schlechte Führung nur minimal ausgleichen.

So hat die Unternehmensberatung Mercer wieder in einer Studie festgehalten, dass eine um 15 Prozent bessere Führungsleistung zu einer Steigerung der Profitabilität um 27 Prozent führt. Leadership zu verbessern hat also eine enorme Hebelwirkung. Aber dieselbe Studie zeigte auch, dass nur knapp mehr als ein Drittel aller Führungskräfte ihre Aufgaben sachgerecht erfüllen und gute Führungsarbeit leisten.

Es ist ein Wechsel im Gange vom zahlen- und entscheidungsorientierten Management hin zur kulturstiftenden Führung. Endlich, so denke ich, wird der Graben zur Geisteswissenschaft überwunden. Das Zukunftsinstitut zeigt das in seinem Leadership Report 2017 sehr deutlich: Natürlich braucht es weiterhin Fachkompetenz, aber in Zukunft wird das Erfahrungswissen und ausgleichend wirkende soziale Stärken noch mehr Gewicht erhalten. Und während sich bisher der Charakter in Regelbefolgung äußerte, wird er künftig an der persönlichen Integrität gemessen. Jetzt ist Werthaltung und eine neue Authentizität angesagt. Hinzukommt, dass nicht nur die Kultur und das Wertebild des Unternehmens eingefordert wird, sondern alle Mitarbeitenden kulturstiftend und -prägend wirken dürfen und sollen. Endlich sind wir bei Offenheit, Transparenz, Vertrauen und Respekt angelangt. Während all das in den Sozial- und Gesundheitsberufen bereits seit längerem diskutiert und implementiert wird, scheint sich das Bild von Führung in der Wirtschaft erst jetzt damit ernsthaft auseinanderzusetzen.

Eine neue Generation prägt nun die Firmenkultur. Wir können gespannt sein, ob mit der neuen Menschlichkeit auch die Effizienz und der Erfolg gesteigert werden. Hoffen wir, dass die Authentizität nicht auch zur Ausrede wird, Deadlines nicht einzuhalten.

Wir können gespannt sein.


Elke Pfitzer