Kindisch sein nützt unseren Kindern nicht

Wenn alle auf jung machen, braucht es echte Erwachsene

Vor dreißig Jahren hatte ich in Soziologie ein Seminar belegt und im Team eine Arbeit über Jugendkultur geschrieben. Damals war sehr klar: dies ist eine sogenannte Subkultur, was so viel hiess wie: sie ist der ganzen Kultur untergeordnet und eben „nur“ ein Teil davon. Allerdings war schon damals die Rede darüber, dass diese Kultur mehr und mehr auch die anderen Altersgruppierungen prägen wird. Drei Jahrzehnte später sehen und spüren wir das Resultat davon. Sie nannten es Juventilismus, wenn alle jung bleiben wollen und die Jugend so stark verherrlicht wird. Allerdings hat damit das Erwachsensein an Aura und Autorität verloren. Wenn wir jung bleiben wollen, dann denken wir meistens an Mode, Aussehen, Sportlichkeit und Sonnenschein. Jeder Sommer verkörpert das auf seine Art. Was wir jedoch selten bedenken, ist die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche meistens einer gewissen Reife ermangeln: Ihr Verantwortungsbewusstsein, ihr Mitdenken für das Ganze und die Welt, ihr Einordnen in die Gesellschaft und Arbeitswelt sind erst noch dabei, sich zu entwickeln.

Mindestens in den letzten zwanzig Jahren hieß jungbleiben auch, technisch auf dem neuesten Stand sein. Umlernen von analog auf digital, was den Dialog nicht unbedingt förderte, sondern zu einem fast stillschweigenden Anpassen der Erwachsenen auf eine neue Zeit beinhaltete.

Leider hat sich in unserer so jugendlichen Gesellschaft auch ein kindisches Verhalten durchgesetzt. Da argumentieren Eltern mit den Unterrichtenden ihrer Kinder, werden Sporttrainer um besondere Behandlung der Kinder gebeten, da kann kein Aufschub von Belohnung toleriert werden, immer öfter halten Erwachsene selbst getroffene Abmachungen nicht ein und mehr und mehr werden Regeln gebrochen, weil sie nicht in den eigenen Alltag passen. Zugleich wundern sich alle Erziehende über Disziplinprobleme in den Schulen.

In unserer Kultur scheinen die Rollen von Kindern und Erwachsenen verdreht zu sein: Kinder verhalten sich altklug und skeptisch wie Erwachsene, während Erwachsene ein impulsives und emotionales Verhalten an den Tag legen. Anstatt die junge Generation anzuleiten, haben wir uns all zu oft lediglich angepasst, um den Anschluss nicht zu verpassen. Ausgelöst durch einen rasanten digitalen Fortschritt scheint es eine Grundangst der Erwachsenen geworden zu sein, nicht mithalten zu können. Allerdings geschieht das nicht immer reflektiert, wie wir das am Umgang mit dem Smartphone einer manchen erwachsenen Person erkennen können. Nicht nur die Kinder sind bildschirmsüchtig – auch deren Eltern geben Anzeichen dafür.

Weil wir vor allem in technologischer Hinsicht in einer neuen Zeit leben, sind wir alle Pioniere. Als Erziehende umso mehr, als dass es keine bewährten Handbücher gibt, um mit Teenagern umzugehen, die ihre Welt mit den Fingerkuppen gestaltet. Da wird zuweilen an fünf Bildschirmen gleichzeitig gearbeitet. Multi-tasking ist allgegenwärtig. Die Beschaffung von Informationen stellt kein Problem dar. Und weil fast alles erreichbar ist, scheint im Leben auch alles sehr locker zu gehen. Mit einem Click erfülle ich mir meine Wünsche. Eine grundsätzliche Anstrengung muss dazu nicht trainiert werden.

Wollen wir die junge Generation jedoch in den Arbeitsprozess der Gesellschaft eingliedern, so sollten wir Älteren neu den Mut aufbringen, Vorbilder zu sein. Halten wir durch? Zeigen wir Biss? Lösen wir Probleme und Konflikte? Suchen wir das reale tiefe Gespräch im Betrieb? Reifen wir persönlich und charakterlich immer noch? Dies alles sind Eigenschaften, die am Arbeitsplatz nötiger sind denn je. So zeigen wir Reife und zeigen den jungen Menschen den Weg in die Zukunft. Ein Bildschirm kann diese pädagogische Arbeit nicht ersetzen. Lasst uns echte Erwachsene sein – offene und warmherzige Vorbilder!

Elke Pfitzer