Wie entsteht gutes Leben?
Gedanken zur aktuellen Debatte über das Streben nach Glück
Die Angebote am Zeitschriftenstand überbieten sich gegenseitig: Das Glück liegt in der Luft. Mit der richtigen Technik ist es in Reichweite. Die Sehnsucht zu blühen und zu wachsen ist uns Menschen in die Wiege gelegt. In unserer heutigen Gesellschaft, da die meisten Grundbedürfnisse gedeckt sind, blüht auch der „Glücksmarkt“. Allerdings stelle ich fest, dass es sich vorwiegend um die guten Gefühle dreht. Flourish heißt das Buch von Martin Seligman und betrachtet dabei den psychologischen Aspekt, wie ich mich gut fühlen kann.
Aber wie lange hält dieses Gefühl an? Werde ich Sklave eines neuen Leistungsdenkens? Ist es nicht wieder dasselbe wie unsere vermeintliche Wachstumsgesellschaft, die nur stabilisiert werden kann, wenn sie wächst und alle nach Reichweite und Welteroberung streben? Eines ist klar: Mehr von diesem Denken und wenn es noch so immaterielle und spirituell ist, genügt nicht und löst unser tiefstes Problem nicht.
Wie wäre es doch schön, könnten wir das gute Leben empfangen! Tatsächlich können wir es nicht machen! Alle Meditations- und Achtsamkeitsübungen, Tagebücher und Atemübungen – sie bleiben Techniken, die ein gutes Leben produzieren sollen. Sie sollen positive Gefühle, Zufriedenheit und Nähe zu sich selbst schaffen. Ist dann erst einmal ein neues Bewusstsein geschaffen, geht es wieder in die Aktivität. Die eigenen Leidenschaften, Interessen und Stärken werden erkannt, genutzt und ausgebaut. Natürlich unter anderen Vorzeichen, aber es bleibt auch hier die Tätigkeit im Vordergrund.
Der Soziologe Hartmut Rosa schlägt an dieser Stelle vor, ganz aus dem Hamsterrad von Wachstum und Entwicklung auszusteigen und zu hören. Seine Resonanztheorie gibt die Alternative zum „Funktionieren“ im Alltag. Denn durch unsere extreme Täterschaft und Aktivität, die die Welt erobern will, erleben wir eine stumme Mitwelt. In allem Wachstumsstreben haben wir unsere Umwelt zum Schweigen gebracht. Jetzt stehen wir isoliert in einer kargen Landschaft und ein Gefühl der Leere und Orientierungslosigkeit hat sich breit gemacht. Deshalb schlägt der Professor von Jena vor, einen Wechsel unserer Grundbefindlichkeit vorzunehmen: nicht mehr nach Wachstum und Welterreichbarkeit streben, sondern nach Resonanz Ausschau halten. Denn dann redet der Baum wieder zu uns, wir nehmen die Blumen und Sonnenuntergänge wahr, wir entwickeln ein Gespür für die unsichtbare Welt, aber auch für unsere Mitmenschen und erst recht für alles Stoffliche. Materie nimmt dann einen anderen Stellenwert ein. Arbeit, Bildung, Sport, Kunst, etc. werden in einer diagonalen Dimension wahrgenommen. Natürlich korrespondiert dann zu dieser äußeren Welt auch eine innere. Wir spüren uns selbst wieder viel mehr und können so den tieferen Gefühlsregungen und Sehnsüchten nachgehen. In allen vier Dimensionen stehen wir im Dialog mit der Welt – und das macht unser Leben reich.
Zusammengefasst könnte man auch sagen, dass wir das Leben grundsätzlich auf Liebe, Freude und Frieden ausrichten. Sie verschmelzen ineinander und vereinen ein Leben, das richtig geführt wird, das sich richtig anfühlt und das zudem gut verläuft. Handlungen, Gefühle und die entsprechenden Umstände tragen dazu bei, dass wir das Leben eines Menschen als gut bezeichnen. Meistens sind gute Lebensbiografien auf die Quelle ihres Lebens ausgerichtet und ziehen daraus ihre Vitalität.
Die Übereinstimmung des geführten Lebens mit dessen Quelle führt zur dauerhaften Erfahrung des Geschenkten und damit zu einer tiefen Dankbarkeit. Das hätten die Griechen in der Antike dann als Tugend bezeichnet: eine Qualität, die der Person innewohnt. Lassen wir also bei aller Sehnsucht nach Glück und dem Streben nach guten Gefühlen nicht außer Acht, dass eine richtige Lebensführung und die richtigen Umstände notwendiger Weise hinzukommen müssen, um das gute Leben als wirklich gut zu empfinden. Beiden Aspekten werden wir an dieser Stelle demnächst noch mehr Raum geben.
Bis dahin,
Elke Pfitzer