Bin ich immer noch ein ADHS-Kind?

Wegetappen zu einer besseren Konzentration

In den vergangenen Jahren hatte ich immer wieder die Gelegenheit in Schulen zu unterrichten. Ob da 80 Schülerinnen und Schüler vor mir sassen, oder auch nur 10, die Problematik schien dieselbe zu sein: Konzentration. Die Attraktivität meiner Anwesenheit und Unterrichts entnahm ich der jeweiligen Zahl der eingesammelten Radiergummis und Papierflieger während der Stunde. Grundschüler erhalten dabei mein besonderes Mitgefühl. Traumageschädigt sass ich in der ersten Klasse und wollte alles andere als Lernen. Mein enormer Bewegungsdrang und die Familienumstände schienen mich am Stillsitzen zu hindern. Da in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts das Bewusstsein dafür fehlte, sicherlich auch keine Abklärung und Diagnose stattfand, frage ich mich heute: Bin ich immer noch ein ADHS-Kind?

Das Gehirn lässt sich trainieren

Mittlerweile hat uns die Hirnforschung enorme Kenntnisse gebracht. Dr. Caroline Leaf ist in diesem Bereich immer noch meine erste Anlaufstelle, wenn ich darüber mehr erfahren möchte. Sie erklärt die Neuroplastizität unseres Gehirns für Normalsterbliche und zeigt Wege auf, wie sich unsere Gehirnwindungen in jedem Alter trainieren lassen. Aber unser Gehirn reagiert auf Schmerzen des Körpers und der Seele. Der Mensch wertet die Erfahrungen des Lebens immer aus und schiebt sie in ein positives oder in ein negatives Fach. Es sind die Schlüsse, die wir aus unseren Erlebnissen ziehen, die uns weiterbringen, oder eben auch hindern, uns in dieser Welt zurecht zu finden.

Wenn wir uns heutzutage mit dem störenden Umgang des Smartphones beschäftigen, hilft es, sich die Frage zu stellen:

„Welches Unbehagen treibt mich um?“

Oftmals wissen wir gar nicht, was in uns krank ist. Irgendwie haben wir uns durchs Leben manövriert und wenn alles glatt läuft, tritt die Krankheit nicht zu Tage. Allerdings erlebe ich mich immer wieder sehr gestört in meiner Konzentration. Nicht weil mich Kolleginnen oder äussere Ablenkungen stören würden, sondern, weil mein Inneres, irgendwie keinen Frieden findet. Wenn ich mich so rastlos erlebe, dann muss ich mich an die Worte eines Redners erinnern, der die Wahrheit aussprach: „Dein innerer Friede liegt nicht im Kühlschrank. Dort musst du erst gar nicht suchen.“ Und hinzuzufügen wäre: Er liegt auch nicht im Geräusch der Kaffeemaschine, dem Duft der Kaffeebohnen oder der Tafel Schokolade …

Leere „likes“

Vor ein paar Wochen habe ich bereits über die Funktion unseres Gehirns geschrieben, das auch im Ruhezustand, das soziale Netzwerk aktiviert. Kurznachrichten, Chats und soziale Medien gaukeln uns vor, wir wären mit unseren Freunden und der Welt verbunden. Deshalb sind auch die „likes“ so überlebensnotwendig. Aber nüchtern und realistisch betrachtet, ist dem nicht so. Sehr viele Menschen fühlen sich nach stundenlangem Surfen auf den sozialen Medien nur noch etwas leerer. Zusätzlich fühlen sie sich schuldig, Zeit vergeudet zu haben. Aufgrund dieses Phänomens möchte man das Smartphone für den Anstieg der Depressionen in unserer Gesellschaft verantwortlich machen. Aber wenn wir diese Zusammenhänge genauer anschauen, dann war wahrscheinlich aufgrund des vorangegangenen Unbehagens bereits eine emotionale „Verstimmung“ vorhanden. Jetzt tritt sie zutage.

Richtig Reden – Plädoyer für gesprächszentrierte Kommunikation

Der Grund dafür ist, dass der Mensch für tiefere Verbindungen geschaffen ist. Das persönliche Gespräch ist das Menschlichste – und am meisten menschlich Machende –, das wir tun. Wir sind ganz präsent füreinander. Hier entwickeln wir die Fähigkeit der Empathie. Hier erfahren wir das Glück, gehört und verstanden zu werden. Ein persönliches Gespräch entfaltet sich langsam. Es lehrt Geduld. Wir nehmen Tonlage und Nuancen wahr. Nicht technologiefeindlich zu sein ist die Lösung, sondern gesprächsfreundlich. Es gilt, im Leben mehr Raum für hochwertige Gespräche zu schaffen. Seit ich das weiss, habe ich mein Facebook und LinkedIn App auf den hintersten Bildschirm meines Smartphones verbannt. Zugleich habe ich mir zum Ziel gesetzt, pro Tag ein bedeutungsvolles Gespräch zu führen. Das kann auch mit Freundinnen am anderen Ende der Welt sein, aber es ist ein genuiner Herzensaustausch für den ich mir Zeit nehmen möchte.

In diesem Sinne hilft mir der Appell „Konzentriert euch!“ nicht wirklich weiter. Es ist das Erlernen der Kunst, mich nicht ablenken zu lassen. Unser „Innenleben“ ist dazu entscheidend. Auch alle anderen Aspekte dieser Kunst, geben mir Hoffnung, mich in dieser Welt von Information und Technologie doch noch zurecht zu finden. Das Thema wird uns weiter beschäftigen – erst recht in der momentanen Situation der mobilen Einschränkungen.

Bis demnächst,

Elke Pfitzer