Das Geheimnis des Wachstums im Nichtstun

Zeit für eine kleine Auswertung?

Die vergangenen Wochen haben uns verlangsamt und zuweilen zum Nichtstun verdammt. Noch immer ist das soziale Leben eingeschränkt – es bleibt mehr Zeit für anderes. Doch kaum tun wir mal etwas nur für uns, ohne Ziel und ohne Zweck, fühlen wir uns unbehaglich. Dabei hat das Nichtstun seine Berechtigung.

Nagende Gewissensbisse quälen uns, weil wir von Kind an auf Leistung trainiert sind. Hinzukommt, dass in der heutigen Zeit Stillstand allzu oft mit Rückschritt gleichgesetzt wird. Es fehlt uns die Muße. Nicht-Aktivität scheint wertlos, weil sie kein Wachstum verspricht.

Interessanterweise sprechen jedoch alle Coaches vom Wert einer Auszeit. Vor Jahren haben mich Kollegen ausgelacht, als ich zwei Monate frei nahm – einfach so. Für sie war das zu kurz: Ein richtiges „Sabbatical“ – so im englischen Sprachraum genannt, müsse mindestens ein Jahr gehen. Sie ist in drei Phasen aufgeteilt: eine gute Abschlusszeit, eine Neutrale Phase und dann die Hinwendung zu Neuanfängen. Jedes wirklich freie Wochenende kann so strukturiert werden. Dabei ist die Neutrale Phase wohl am schwersten auszuhalten. Ist das nicht vergeblich und nutzlos. Nein, sagen die Sabbatical-Coaches, diese Zeit braucht es, dass sich auch das Gehirn erholen kann. Es ist eigentlich jene Phase, in der am meisten persönliches Wachstum geschieht. Aber es ist eine Herausforderung, zu warten, still zu sitzen und ohne Anerkennung und Wertschätzung aufgrund einer Tätigkeit oder Position, einfach der Dinge zu harren, die da kommen.

In jener Phase ein schlechtes Gewissen zu haben, wäre fatal. Wissenschaftliche Untersuchungen beweisen, dass uns die Gewissensbisse nicht nur davon abhalten, uns glücklich zu fühlen, sondern dass sie auch unsere Leistungen, Konzentration und Kreativität mindern. Indem man das Glück hinausschiebt, bis man etwas geschafft hat, gibt man sich selbst das Gefühl, in diesem Moment nicht gut genug zu sein. Doch je länger man sich ausruht, desto näher kommt man sich selbst.

Bereits im Buch „The Net and the Butterfly“ von Olivia Fox Cabane ist die Rede von jenem Bereich im Gehirn, der das „Default-Netzwerk“ genannt wird. Wenn wir nichts tun, übernimmt dieser Bereich und versetzt uns in einen Tagtraummodus. Meistens haben wir dann die besten Einfälle und kreative Ideen.

Früher war es ganz normal, Feierabend zu machen. Auf dem Land etwa war die Arbeit getan, wenn der Abend hereinbrach. Man setzte sich auf eine Bank und genoss den Einbruch der Dämmerung.

Vielleicht sollten wir uns heutzutage öfter auf eine Parkbank setzen und dem vorbeiziehenden Bach zuschauen. Das kann durchaus zu einer bewegenden und erfrischenden Meditation werden. Denn: Was wir anschauen, das prägt sich uns ein.

Was wollen wir also nach diesem Lock-down in unserem Leben beibehalten? Worauf waren wir schlecht vorbereitet? Was ist uns gut gelungen? Welche Erfahrung der letzten Wochen möchten wir nicht missen?

Es ist eine Frage der Auswertungskriterien: Tatsache ist, dass sich nicht alles jetzt schon messbar festhalten lässt. Im Prinzip ist diese Corona-Krise auch noch nicht vorbei. Deshalb wäre es falsch, bereits jetzt ein abschließendes Fazit zu ziehen. Behalten wir aber im Hinterkopf, dass unser innerer Mensch auch in allem nutzlosen Nichtstun weiterwächst.

Bis zum nächsten Mal,

Elke Pfitzer