Die Kunst des lässigen Anstands

Impulse von gestern für nobles Verhalten von heute

Vor Monaten bereits hat mir ein Freund das gleichnamige Buch von Alexander von Schönburg empfohlen. Ich war mit anderem beschäftigt. Mittlerweile hat mich die Diskussion um den Zustand unserer Gesellschaft – ausgelöst durch diese „Krisensituation“ – wieder zu diesem Thema zurückgebracht.

Diese Distanz und Isolationszeit wirft eben doch so manche Frage des Lebensstils auf. Es gibt dann die praktischen Ratgeber, wie man am besten und relativ „schmerzfrei“ durch die Zeit kommt. Aber je länger diese Virusgeschichte geht, desto lauter werden die Stimmen aus der Tiefe. Ja, es gibt in unserer scheinbar oberflächlichen Lebensart des Konsums und der Schmerzbetäubung immer noch eine Tiefendimension. Zwar denken wir bei Anstand primär an das äußere Verhalten eines Menschen, aber den Tugenden liegt eine andere Ausgangsbasis zugrunde.

Während die Aufklärung und allen voran Immanuel Kant von der Ethik des Sollens sprach, geht es bei den Tugenden zu allererst darum, wer wir sind. Auf der Suche nach der Identität des Menschen stoßen wir auf sein Wesen. Was ist das Wesen des Menschen, das ihn zum Beispiel vom Tier oder der Maschine unterscheidet? Wenn wir dann wesensmäßig leben, so der Philosoph Josef Pieper im letzten Jahrhundert, dann führt uns das zu wahrer Integrität und Authentizität. Wir leben mit unserem Inneren im Einklang. Wir streben nach Klugheit und Gerechtigkeit, weil wir auf das Gute ausgerichtet sind. Aber alles mit Mut und Maß. Diesen vier Kardinaltugenden liegen bei Josef Pieper wiederum Liebe, Glaube und Hoffnung zugrunde.

Interessanterweise geht auch Alexander von Schönburg als Adeliger den Tugenden nach. Der Grund: Die Relativität und Beliebigkeit unserer Gesellschaft, so seine Aussage, bringen uns nicht weiter. Es ist der Versuch, den Menschen Halt und Orientierung zu geben. Die Lektüre, oder besser das Hören des Buches, ist geradezu unterhaltsam und schließt nebenbei noch ein paar Lücken der Allgemeinbildung. Alexander von Schönburg beleuchtet 27 Tugenden und erklärt scheinbar altmodische Worte für unsere Zeit und Welt. Sehr einladend und ohne einen erhobenen Zeigefinger führt er seine Leserschaft an die Geschichte heran. Er zeigt auf, welche Gedanken und Theorien zu jeweiligem Erfolg oder gesellschaftlichem Versagen geführt haben. Anhand dieses Spiegels können wir unser heutiges Menschsein auf dieser Welt betrachten. Wer sind wir und was ist unser Wesen? Denn echtes Menschsein finden wir nur dort, wo wir einen uns wesensmäßigen Lebensstil führen und dies auch unseren Mitmenschen zugestehen und ermöglichen.

Wer also geübt ist, philosophische Literatur zu lesen, dem ist Josef Pieper zu empfehlen. Das ist echtes Schwarzbrot für das Gehirn. Wem das nicht liegt, der ist mit der „Kunst des lässigen Anstands“ auf gutem Kurs. Vielleicht könnte das sogar die Grundlage bilden, mit unseren Freunden über die wahren Dinge des Lebens ins Gespräch zu kommen.

Versuch’s und schreib mir deine Erfahrungen damit!

Elke Pfitzer