Sind wir alle krank?

Österliche Gedanken aus aktuellem Anlass

Die Zukunftsforscher nennen es „Health Report“ – dabei ist es eigentlich die Analyse, wie unsere Kultur mit Krankheit umgeht. Welches sind die neuen Methoden gesund und vielleicht erst gar nicht krank zu werden? Allerdings wundert es den aufmerksamen Beobachter der Gesellschaft nicht, diese „Trends“ zu lesen – sie liegen eigentlich auf der Hand und zeichnen sich schon länger ab:

Der Trend geht zu mehr Reinheit. Die neuen Puritaner sind auf dem Vormarsch. Das beginnt bei den sogenannten „Cleanmeds“ (Medizin ohne Zusatzstoffe) und geht über zu „Sober Curiosity“: Es ist eine lebensbejahende Bewegung, in der es um Fitness, Reinheit und Klarheit von Körper und Geist geht. Das wird künftig die Gastronomie-Branche prägen. Es gibt auch ohne Alkohol Leckeres zu trinken!

Desinfektionsprodukte werden uns auch weiterhin begleiten. Sie erhalten noch größere Aufmerksamkeit und Nachfrage, denn wir befinden uns in einer „Germophobia“ – einer notorischen Angst vor Keimen.

Die medizinische Fitness wird den ersten und zweiten Gesundheitsmarkt miteinander verbinden. Ein sportlicher Lebensstil wird als Prävention von Krankheiten angesehen. Das hat bereits Auswirkung auf die Krankenkassenprämie. Unser Alltag wird versportlicht.

Früher galt der Urlaub als Statussymbol. Wegfahren galt als Luxus. Mittlerweile gilt Schlaf als exquisit. Arbeit, Freizeit und Schlaf bilden jetzt die drei Säulen der individualisierten Gesellschaft. Es ist der Gegentrend zur Selbstoptimierung, in der der lange Zeit damit geprahlt wurde, wie wenig Schlaf „man“ braucht. Jetzt rückt Schlaf als wichtige Mentalressource einer achtsamen Gesellschaft in den Mittelpunkt.

Schnittstelle: Mentale Gesundheit

Das ist genau die Schnittstelle zur mentalen Gesundheit. Die sogenannte Generation Z leidet stärker unter psychischen Problemen als jede andere Generation davor. Zumindest scheint uns das so, weil wir in der Erforschung der Psyche sehr weit gelangt sind. Jetzt wird analysiert und es scheint, dass jedes „lebendige“ Kind „abgeklärt“ werden muss und dann meistens auch eine Diagnose erhält. Wie damit umgegangen wird, lässt viele Fragen offen. Eines ist allerdings nicht zu leugnen: Die Suizidrate stieg unter den Jugendlichen in den letzten Jahren um das Doppelte. 37 Prozent aller Jugendlichen der Generation Z war oder ist gegenwärtig in psychotherapeutischer Behandlung. Das heißt nicht, dass es diese mentalen Herausforderungen früher nicht gegeben hätte, aber diese Generation ist bereit, sie anzuerkennen und Hilfe von außen zu holen. Wie können wir dazu beitragen, das mentale Gleichgewicht wieder herzustellen oder erst gar nicht zu verlieren?

Sehr leicht wird den Sozialen Medien die Schuld dafür gegeben. Ganz so einfach scheint das nicht zu sein: In dieser Pandemiezeit, werden sie manchmal der letzte Strohhalm, der die Verbindung nach außen aufrechterhält.

Vielleicht könnte man auch sagen, dass unsere ganze Kultur durch die Individualisierung ein Aufmerksamkeitsdefizit in allen Generationen hervorgebracht hat. Wenn jeder sich selbst der Nächste ist, dann mangelt es allen an Liebe und Zuwendung. Gespräche, Begegnungen und Unterhaltungen haben sich verändert. Das Beispiel aus Simbabwe scheint mir hier wegweisend zu sein: Das Projekt heisst „The Friendship Bench“ – Grossmütter, die zu Gesprächstherapeutinnen ausgebildet wurden, bieten niederschwellige Beratung an. Brauchen wir nicht alle jemanden, der uns zu hört? Wir könnten uns doch einfach an einem freien Nachmittag im Park oder auf dem Spielplatz auf eine Bank setzen und warten was passiert. Vielleicht haben wir in der Vergangenheit den Profis zu viel delegiert. Es wäre an der Zeit, wieder Zeit frei zu machen, um den Kindern und Jugendlichen zuzuhören. Das könnte sogar unsere eigene mentale Gesundheit stärken.

Frohe Ostern!

Elke Pfitzer