Nicht perfekt und trotzdem gut

Zur Klärung einer kleinen Verwechslung

Das Maß an Perfektionismus in unserer Gesellschaft, so eine Langzeitstudie des Sozialpsychologie Thomas Curran, ist zwischen 1989 und 2016 linear gewachsen.

Diese Aussage verwirrt zunächst: Denn unsere Welt scheint uns weniger denn je perfekt. Vom Paradies sind wir weit entfernt.

Kommt es jedoch zu unserem Lebensgefühl, dann stellen wir fest, dass die Anforderungen an das Individuum gestiegen ist. Curran erklärt das mit einer extremen Fokussierung auf das wirtschaftliche Wachstum. Alles muss dem Markt dienen – und er muss natürlich wachsen. Wenn ich diese Idee internalisieren, heißt das, dass ich wachsen muss, um für die Gesellschaft von Wert zu sein. Ich bin niemals gut genug, es gibt immer mehr Likes, eine bessere Bewertung auf der Arbeit, bessere Zahlen, bessere Noten. Das hat einen enormen Einfluss auf uns.

Wie sind wir nur dahin gekommen?

Wir wollen doch einfach nur gut leben. Leider wurden Begriffe wie harte Arbeit, Beharrlichkeit, Sorgfalt oder Lernen in den Sog der Perfektion aufgenommen. Ursprünglich gute Charaktereigenschaften werden verwendet, um vor der Welt Dinge zu verbergen, von denen wir glauben, dass sie defizitär an uns sind. Denn bei diesem gesellschaftlichen Perfektionismus geht es nicht um Ziele oder hohe Standards. Es geht darum, vor den anderen gut dazustehen. Er ist getrieben von der Angst, Dinge zu vermasseln und von den anderen aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Eigentlich ist es die äußere Fassade, die hier gepflegt wird, was uns innerlich enorm viel Stress macht. Kein Wunder stieg die Zahl der Burn-out-Patienten in den letzten vierzig Jahren proportional an. Der innere Druck macht krank – egal woher er kommt, ob selbst verursacht, oder als Opfer im Hamsterrad.

Wo ist nun aber die Grenze zwischen gut und perfekt?

Wie erkennen wir unser eigenes Streben als krank? Im Normalfall sagt uns das unser privates Umfeld – falls wir sie fragen und eine Echtheit der Beziehung besteht. Aber genau hier liegt der Schwachpunkt, v.a. wenn wir uns nicht bedingungslos angenommen fühlen. Alles geht auf eine bedingungslose Liebe zurück – ganz besonders in der Kindererziehung. In einem gelungenen Miteinander lernen alle gewisse Charaktereigenschaften, die diese Liebe nähren: Geduld, Nachsicht, Ausdauer, Ehrlichkeit, Teamwork, Initiative und immer eine Portion Umsetzungsenergie.

Und vielleicht geht allem voran die Erkenntnis, dass Perfektion in einer unperfekten Welt zum Scheitern verurteilt ist. Zugleich sehen wir um uns herum eine gute Schöpfung, was uns darauf hinweist, dass Defizite tatsächlich minimiert werden und Schönheit und Gerechtigkeit in überschaubarem Rahmen hergestellt werden können. Es ist eine Ambiguität, die sehr viel inneres Gleichgewicht voraussetzt. In Stresszeiten kommt uns das abhanden. Es wird Zeit, dass wir unsere innere Mitte wieder finden, um die Extreme des Lebens und der Weltsituation wieder besser aushalten zu können.

Das Lebens ist gut!

Elke Pfitzer