Sag: „Tschüs“

Von der Kunst, etwas zu einem guten Ende zu bringen

Ich sitze mit einem langjährigen älteren Freund beim Nachtessen und er erzählt von seiner schwierigen Phase, dass er nun selbst in dem gemeinnützigen Werk, mit dem er lange Jahre gearbeitet hat, nicht mehr gebraucht wird. Sie haben ihn pensioniert. Zwischen den Zeilen klingt an, dass er nicht ganz freiwillig seine Tätigkeit abgegeben hat. Und doch hatte er jetzt mit seinen siebzig Jahren gesehen, dass manches ihn überfordert und er energiemäßig einfach nicht mehr kann.

Aber die Leute und die Arbeit – oder: die Arbeit und die Leute waren sein Zuhause, seine Lebensmitte. Jetzt ist er plötzlich Privatmann und sitzt allein daheim. Er sollte sein Büro räumen, den Computer freigeben, aber dieses Loslassen fällt ihm schwer.

So stand die Frage im Raum: Wie bringt man eine jahrzehntelange sinnvolle Tätigkeit zu einem guten Ende? Meistens beschleicht einen ja das leise Gefühl, zu desertieren und die Leute im Stich zu lassen. Und es schwingt die Angst mit, nichts mehr wert zu sein, weil man nicht mehr gebraucht wird. Im letzten ist es eine Identitätsfrage.

Die Antwort, wie man etwas zu einem guten Ende bringt ist eigentlich einfach: man verabschiedet sich. Das funktioniert schon bei den kleinen Kindern. Sie sollen einen Mittagsschlaf machen, obwohl sie noch tief am Spielen sind. Oder sie gehen im Wald spazieren und bleiben an jedem Stein oder Baumstumpf stehen. Wie gehen wir weiter? Wir sagen „Tschüs“, winken und sagen, dass wir ein anderes Mal wiederkommen. So können sich Kinder am besten lösen, weil es Trost gibt. Denn jede Trennung tut weh. Abschiednehmen gibt Trost. Unsere Seele kann nachkommen und wir können bewusst einen Schlussstrich ziehen. Vielleicht möchte man noch etwas sagen bei der Verabschiedung, oder auch nur sich bewusst in die Augen schauen oder die Hand schütteln – wir haben alle unsere Rituale für das Abschiednehmen.

Wenn wir nicht Abschiednehmen, nehmen wir die Gegenwart mit und schleppen sie als Vergangenheit in eine neue Gegenwart. Das kommt meistens nicht gut – es überlastet. So ist jedes Abschiednehmen auch eine Entlastung. Wir ziehen eine kurze Bilanz, freuen uns oder versöhnen uns mit dem, was war – und können dann weitergehen.

So habe ich meinem Freund geraten, er solle doch einfach in sein Büro gehen, das nötigste Private rausholen und sich dann bewusst verabschieden. Vielleicht ist da noch ein Kollege dabei, der ihm hilft diesen Schritt zu tun, aber dann ist das Büro zur Räumung, zur Renovation und für eine neue Funktion freigegeben.

Erst kürzlich habe ich gelesen, dass die Art der Erinnerung an einen Lebensabschnitt wesentlich davon abhängt, welches Ende „es“ genommen hat. Da kann jahrzehntelang ein tolles Teamwork die Arbeit befruchtet haben, aber wenn dann ein neuer Chef kommt, die Leute gehen und einem selbst noch gekündigt wird, dann wird das schlechte Ende die ganze Arbeitszeit in jener Firma überschatten. Ein Bekannter hat gesagt, dass „creating good memories“, das Schaffen guter Erinnerungen, wichtig ist. Das gilt sicherlich für das ganze Leben, aber ganz besonders für das Ende.

Vielleicht kommt in deinem Leben bald etwas zu einem Ende?! Achte darauf, dass es ein gutes Ende ist, und du dir die guten Zeiten nicht selbst raubst. Verabschiede dich und gehe froh und frei in die nächste Phase des Abenteuers. Und glaube in all der Trauer der Trennung: Das Beste kommt erst noch!

Herzlichst,

Elke Pfitzer