Das Schöne an Wiederholungen

Geerdet-sein ist ein Grundbedürfnis

Liebgewonnene Traditionen geben wir nicht so leicht auf. An Weihnachten und zum Jahreswechsel wird uns das am meisten deutlich. Ich hatte mich immer gewundert, weshalb meine Nichten und mein Neffe als Teenager darauf beharrten, dass an Heilig Abend alles so sei, wie „immer“. Das bezog sich dann auf die vergangenen maximal 18 Jahre ihres Lebens. Sämtliche Änderungsvorschläge der Eltern wurden verworfen.

Aber liegt nicht der Reiz des Lebens im Neuen? Freuen wir uns nicht, ein neues Jahr zu beginnen und gestalten es dann zu können? Bis vor kurzem boomten Städtereisen, wo Neues entdeckt wurde – allein an einem verlängerten Wochenende. Hauptsache raus aus der Routine des Alltags.

Tatsächlich liebt unser Gehirn Neues. Wissenschaftliche Studien belegen, dass ein Areal in seiner Mitte aktiv wird, wenn unsere Augen etwas Unbekanntes sehen. Dabei wird eine Substanz produziert, die uns Wohlgefühl verschafft: Dopamin. Aber wie bei allem, kann es auch davon ein Zuviel geben.

Es gibt sogar eine regelrechte Such nach Neuem, die man in der Philosophie als „Neomanie“ bezeichnet: Es ist der zwanghafte Glaube an die Überlegenheit des Neuen auf Kosten von etwas, das sich längst bewährt hat. Aber es gibt bereits Stimmen, wie die von Svend Brinkmann, der in seinem Buch „The Joy of Missing Out“, festhält, dass es vielleicht viel besser sei, das bereits Gelernte und Erfundene wertschätzen zu können. Seiner Meinung nach sind Begriffe wie „Originalität“ und „Authentizität“ überbewertet.

Deshalb: Nostalgie tut gut. Sie schützt unser Gehirn. Wiederholung schützt uns zudem davor, dass wir uns ständig mit neuen Möglichkeiten beschäftigen, und hält damit den Kopf frei für etwas, das uns auf andere Weise glücklich machen kann. Manchmal bin ich zum Beispiel froh, keine Entscheidungen treffen zu müssen – kein neues Menü ausdenken, kein neues Freizeitprogramm oder Urlaubsziel. Es sind ja genau jene gleichen Orte, die uns entspannen lassen: Man kennt den Bäcker nebenan, den Gemüseladen, das Café und die nette Frau gegenüber.

Nicht über den Tagesablauf nachdenken zu müssen hat aber noch mehr Vorteile: Es entsteht ein schöpferischer Raum für etwas anderes. Deshalb folgen auch so viele kreative Menschen festen Ritualen. Auf diese Weise erhält das Leben Tiefe. Denn die Jagd nach etwas Neuem führt oft nur zu einer oberflächlichen Veränderung. Sie lässt zugrunde liegende Strukturen unangetastet. Wer sich nämlich ständig an Scheinveränderungen anzupassen hat, dem bleibt keine Zeit mehr, wirklich etwas zum Besseren zu verändern – und so bleibt im Grunde alles dasselbe.

Allerdings sei hinzugefügt, dass nur die wohldosierte, selbst gewählte Wiederholung magisch wirkt. Nicht jede Gewohnheit und erst recht nicht aufgezwungene Monotonie wird als bereichernd empfunden. Es ist einmal mehr die Autonomie und Wahlfreiheit, die uns das Gefühl der Lebensqualität gibt.

Deshalb haben wir uns als Familie auch in diesem Jahr für die Nostalgie an Weihnachten entschieden – mit kleinen Abweichungen. Nichts gibt uns mehr das Gefühl des Geerdet-seins als das Gefühl der Verbundenheit mit der Geschichte und den Menschen um uns herum. Nostalgie wirkt deshalb wie ein Anker, damit wir vom Zeitgeist nicht davon getrieben werden. Und wohl dem, der eine transzendente Konstante kennt, auf die er sich zurückbeziehen kann – einen Gott auf den Verlass ist, inmitten grösster gesellschaftlicher Umwälzungen.

In diesem Sinne: Ein frohes neues Jahr mit bedeutungsvollen nostalgischen Momenten!

Herzlich,

Elke Pfitzer