Der neue Sozialismus
Wenn teilen multiplizieren ist
In meiner Jugend war Teilen ein sehr ethischer Begriff, der zuweilen auch ein schlechtes Gewissen hervorrief, vor allem, wenn ich meine Schokolade nicht mit meinen Schwestern teilte. Früher hieß teilen, den eigenen Besitz zu halbieren und einen Teil wegzugeben. Es bedeutet, dass ich mich von etwas trennen muss und es nachher nicht mehr besitze. Heute reden die Menschen von Teilen und meinen das Weitergeben von Tipps und guten Ideen auf dem Internet. Eigentlich ist das nicht teilen, sondern multiplizieren. Aber wenn wir etwas teilen, dann fühlen wir uns besser. Immerhin gebe ich eine persönliche Präferenz und Meinung weiter. Ich tue etwas Gutes!
Die entstandene sog. Sharing-Kultur bildet eine milde Form des digitalen Sozialismus und steht für die Grundlage eines höheren gemeinschaftlichen Engagements. Es ist das Fundament der gesamten Netzwerkwelt. Das Teilen führt zu einer Zusammenarbeit, die tatsächlich einen Mehrwert schafft. Alle unsere hochgeladenen Bilder, die wir mit einem Stichwort versehen haben, dienen irgendwo in der Welt einer anderen Person. Aus einer punktuellen Zusammenarbeit kann dann auch eine dauerhafte werden, wie wir das bei der Entwicklung von Apps und Computerprogrammen sehen. Anstatt Geld, erlangen die Programmierer Status, Ruf, Freude, Zufriedenheit und Erfahrung.
Diese soziale Produktion ist bereits eine Alternative zum jetzigen geschlossenen Staats- und Marktsystem. Während die herkömmlichen Systeme in ihrer Besitzstandwahrung gefangen sind, verbessert das Netzwerksystem die Kreativität, Produktivität und Freiheit. Der herkömmliche Sozialismus von Karl Marx basierte auf Mangeldenken. Deshalb mussten alle Reichen „gleichgemacht“ werden in ihren Besitztümern. Und wie die Praxis zeigte, kann auf dieser Basis kein Mehrwert geschaffen werden. (Dies ist eigentlich auch eine Warnung an den modernen Wohlfahrtsstaat.)
Im Kalten Krieg sah man Kapitalismus und Sozialismus als politische und ökonomische Systeme gegeneinander stehen. Vor unseren Augen entfaltet sich eine dritte Alternative. Es ist die Überzeugung, dass durch dezentralisiertes freiwilliges Teilen, diese Welt zu einem besseren Ort wird. Denn jetzt haben auch bisher benachteiligte Gruppen und Regionen Zugang zu Bildung, zu Arbeitsmöglichkeiten und zu Medikamenten. Auf diese Weise wächst die Welt zu einer echten Solidargemeinschaft zusammen. Der geschaffene Mehrwert wird geteilt und damit multipliziert – zum Wohle der anderen. Das ist in der Tat ein neuer Sozialismus, der von einer Überflussmentalität geprägt ist.
Und wie bereits gesagt können wir uns auf die Zukunft freuen. Der neue Sozialismus ist ein Schritt in die richtige Richtung.
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Herzlichst,
Elke Pfitzer